Die tiefste Arbeitslosigkeit seit über 20 Jahren unterstreicht die Stärke unserer Wirtschaft in den global sehr unsicheren Zeiten mit Ukraine-Krieg, hohen Energiepreisen, steigenden Zinsen und Lieferengpässen. Die Kehrseite dieser höchst erfreulichen Lage auf dem Arbeitsmarkt: Statt Arbeitslosigkeit herrscht Arbeiterlosigkeit. Und dieser Arbeitskräftemangel dürfte sich weiter verschärfen. Eine riesige Herausforderung für unsere Wirtschaft!

Finden die Unternehmen nicht mehr genug Personal, sinkt die Wirtschaftsleistung. Die konkreten Folgen erlebten wir im Sommer am Flughafen, wo Flüge gestrichen wurden. Restaurants müssen tageweise schliessen, weil das Personal fehlt. Der Arbeitskräftemangel betrifft aber insbesondere auch die hochinnovativen Zürcher Schlüsselbranchen wie die ICT, die Finanzwirtschaft und die Life-Science-Branche. Und darunter leidet letztlich auch die Innovationskraft unserer Wirtschaft.

Ohne Gegenmassnahmen wird sich der Arbeitskräftemangel nur schon allein aufgrund der Demografie weiter verschärfen. Wenn die Zürcher Wirtschaft weiterhin so wachsen soll, wie in den letzten Jahren – und das muss unser Ziel sein – fehlen bis 2050 insgesamt 210‘000 Arbeitskräfte. Und dies drückt den Wohlstand in unserem Kanton. Zu diesem beunruhigenden Schluss kommt eine Studie meines Amts für Wirtschaft und Arbeit.

Die Politik ist gefordert. Mit klugen Anreizen müssen wir das Potenzial an Arbeitskräften, das in unserem Land schlummert, besser ausschöpfen. Ganz zentral ist hierbei, dass die Individualbesteuerung eingeführt wird: Damit doppelt verdienende Ehepaare endlich nicht mehr steuerlich bestraft werden. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss weiter verbessert werden. Deshalb will der Regierungsrat Kinderbetreuungsangebote stärker unterstützen. Zudem würde ein flexibleres Arbeitsrecht dabei helfen, dass der eine oder die andere ihr Pensum erhöht. Erhöhen könnte man bei Bedarf auch die Drittstaatenkontingente.

Viel Hoffnung setze ich auch in die Digitalisierung. Sie erhöht die Produktivität, ohne dass wir mehr und länger arbeiten müssen – sofern wir alle digital fitter werden. Und schliesslich ist es absolut zentral, dass die Schweiz das Rentenalter erhöht und flexibilisiert! Zur Sicherung der Altersvorsorge und eben auch zur Linderung des Arbeitskräftemangels müssen Jungrentnerinnen und Jungrentner im Erwerbsleben gehalten werden. Aus Sicht der Generationengerechtigkeit ist das absolut zwingend. Am 25. September können wir mit einem Ja zu den AHV-Vorlagen einen ersten und überfälligen Schritt machen.

 

Carmen Walker Späh, Volkswirtschaftsdirektorin