Das Positionspapier der FDP Schweiz fordert, dass die Volksschule den Fokus auf den Kern des Bildungsauftrags legt und die integrative Schule in der heutigen Form abgeschafft wird. Braucht es die im Kanton Zürich lancierte Förderklassen-Initiative, um die Volksschule zu retten?
JA
In den Regelklassen gibt es heute Kinder, die normal- oder hochbegabt sind, leichte bis massive Lernschwierigkeiten aufweisen, oder solche, die verhaltensauffällig sind – in unterschiedlichen Ausprägungen. Dafür haben die Befürworter dieses Systems einfache Rezepte: möglichst viel Stützpersonal wie Klassenassistenzen, Heilpädagogen, Sozialarbeiter, Senioren, Zivildienstleistende und in der Stadt Zürich noch Betreuungspersonal. Alle sollen sich ein bisschen um die Kinder mit speziellen Bedürfnissen kümmern. In den Klassenzimmern herrscht deshalb ein Kommen und Gehen. An fokussiertes Lernen ist kaum zu denken. Klassenlehrer sind am Anschlag, weil sie sich mit zahlreichen Personen koordinieren und sich um verschiedenste Bedürfnisse kümmern müssen. Für Kinder mit auffälligem Verhalten gibt es häufig nur noch die Variante einer teuren externen Sonderschule. Vor diesem Hintergrund wurde die Förderklassen-Initiative lanciert und mit über 9000 Unterschriften eingereicht. Zusätzlich hat die Kantonsratsfraktion eine gleichlautende Motion eingereicht. Und auch die FDP Schweiz hat diese Forderung in ihrem neuen Positionspapier. Förderklassen bilden ein Zwischengefäss zwischen Regelklasse und teurer externer Sonderschule. In einer solchen kleineren Klasse sollen Kinder, die mehr Zeit oder Hilfe benötigen, von einer heilpädagogisch ausgebildeten Lehrperson auf ihrem Niveau unterrichtet werden. Eine Rückkehr in die Regelklasse soll jederzeit möglich bleiben. So können Kinder vor Ort bedürfnisgerecht gefördert werden. Die Regelklassen werden entlastet und brauchen massiv weniger Stützpersonal. Die Klassenlehrer können sich wieder auf den Unterricht fokussieren. Und alle Schüler können ihren Bedürfnissen und Begabungen entsprechend geschult und gezielt auf das Leben nach der Schule vorbereitet werden. Das fördert die Integration – für alle.
Përparim Avdili (36) ist Präsident der FDP Stadt Zürich, Gemeinderat und Vorstand im Verein Second@s. Beruflich ist Avdili in leitender Funktion im Bereich berufliche Vorsorge tätig.
NEIN
Integration bedeutet für mich das Akzeptieren von Grenzen. Das gilt im Umgang mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen, und das gilt genauso für die Umsetzung der Integration. Die Volksschule strauchelt, doch die Förderklassen-Initiative verfehlt das Ziel. Denn der Begriff Förderklasse ist eine wohlklingende Alternative für Kleinklassen. Diese sind gemäss Volksschulgesetz §35 Abs. 5 bereits möglich. Die Akzeptanz jedoch, sein Kind in einer Kleinklasse beschulen zu lassen, ist bei den Eltern gering, denn sie fürchten eine Stigmatisierung. Darum sind andere Massnahmen gefragt. So sollen die Schulen mehr Spielraum bei der Ressourcenzuteilung erhalten, um bei Bedarf Kleingruppen führen zu können. Das entsprechende Projekt läuft bereits. Um alle Beteiligten einer Regelklasse zu entlasten, muss sich der Kanton endlich für ausreichend Plätze an externen Sonderschulen einsetzen. Heute müssen Kinder mit ausgewiesenem Bedarf an externer Sonderschulung integriert werden, weil kaum Plätze gefunden werden. Seit einigen Jahren treten Kinder mit massgeblichen Entwicklungsdefiziten in die Schule ein. Sie werden in den ersten Lebensjahren zu wenig gefördert und verbringen stattdessen zu viel Zeit vor dem Bildschirm. (Zu) spätes Intervenieren verursacht hohe volkswirtschaftliche Kosten. Darum muss die frühe Förderung dringend verstärkt werden. Wie von der FDP Schweiz gefordert, soll auf die zweite Fremdsprache verzichtet werden. Die dringende Fokussierung auf Deutsch ermöglicht die Grundlage für das Erlernen weiterer Sprachen im späteren Ausbildungsverlauf. Eine weitere Fremdsprache soll dafür bereits ab der Mittelstufe als Freifach angeboten werden. Mit diesen Massnahmen können die wertvollen Aspekte der integrativen Schule erhalten werden, während das System Schule entlastet wird und der Bildungsauftrag wieder in den Vordergrund rückt.
Raffaela Fehr (39) ist Vizepräsidentin der FDP Kanton Zürich. Fehr ist Betriebsökonomin und Unternehmerin. Seit 2019 sitzt sie für die FDP im Kantonsrat. Fehr ist verheiratet und hat zwei Töchter.