Ich bin Yiea Wey Te, Zürcher FDP-Kantonsrat, Gemeinderat in Unterengstringen, Oberstleutnant in der Schweizer Armee und ein Familienmensch – eine Biografie, die zunächst typisch schweizerisch anmutet. Doch an meinem etwas exotisch klingenden Namen hört man, dass die Herkunft eine andere ist. Zwar bin ich in Sursee geboren und in Emmenbrücke aufgewachsen, aber bis zu meiner Einbürgerung im Alter von neun Jahren war ich ein staatenloses Flüchtlingskind. Trotzdem setze ich mich heute in der Asylpolitik für eine Veränderung ein. Ich wurde oft gefragt, weshalb ich das tue. Dafür habe ich eine klare Antwort: Die S

chweizer Asylpolitik muss neu gedacht werden.

Ich habe mir lange überlegt, ob ich meine Familiengeschichte so offen erzählen möchte. Denn unsere Vergangenheit hat eine tragische und sehr traurige Chronik. Und doch hat sie auch ein Happy End, weshalb ich beschlossen habe, sie mit euch zu teilen. Dies ist meine Geschichte als ehemaliges Flüchtlingskind in der Schweiz. Verfolgung durch die Roten Khmer In den 1970er-Jahren wurde meine Familie Opfer der Roten Khmer in Kambodscha. Einst erfolgreich in der Textilindustrie, verlor sie alles und wurde zur Arbeit auf den Feldern gezwungen. Schliesslich gelang ihr die Flucht, und sie wurde in ein Flüchtlingslager in Thailand gebracht. Obwohl mein Vater damals keinen Bezug zur Schweiz hatte, wusste er, dass er in der Schweiz ein neues Leben starten möchte. Denn vor dem Kriegsausbruch lernte er in der Schule, dass die Schweiz den Schwächeren hilft und den Willigen die Möglichkeit gibt, etwas zu erreichen. Dieser Wunsch ging in Erfüllung, und er gelangte mit einem Teil seiner Familie in die Schweiz, wo er Asyl erhielt. Im Genozid wurden viele Familienmitglieder ermordet, so auch meine Grossväter. Die Entscheidung, in die Schweiz zu kommen, hat sich als schicksalhaft erwiesen. Hier in der Schweiz lernte mein Vater seine zukünftige Frau – meine Mutter – kennen. Auch sie floh vor den Gräueltaten der Roten Khmer. Meine Eltern sind darüber sehr verschwiegen, der Schmerz sitzt bei ihnen zu tief.

«Im Gespräch sagte mein Vater mit Stolz, dass er damals sogar den Flug aus dem Flüchtlingslager in Thailand in die Schweiz zurückbezahlt habe und für den Unterhalt der ganzen Familie immer selbst aufgekommen sei.»

Aufwachsen als Secondo
Das junge Flüchtlingspaar hatte eine Vision für seine Kinder. Sie sollten mit guten Voraussetzungen in der Schweiz aufwachsen können, vor allem aber sollten sie die abscheuliche Zeit, wie die der Roten Khmer, niemals erleben müssen. Für die besagte Vision haben sie hart gearbeitet. In Schichten – der Vater in Nachtschicht, die Mutter in Tagesschicht – bauten sie Stück für Stück das Fundament auf, damit wir, die Secondos, eine bessere Kindheit erleben durften. Es bedeutete jedoch nicht, dass ich und meine zwei Brüder mit unserer Freizeit einfach machen durften, was uns gefi el. Im Gegenteil, wir wurden sehr bald in den Familienbetrieb eingebunden. Für uns war es jedoch selbstverständlich, dass die ganze Familie mit anpacken musste. Wenn unsere Freunde am Wochenende Fussball spielten, halfen wir drei Kinder im Restaurant mit. Dadurch lernten wir früh, Eigenverantwortung zu übernehmen.

Nach über 45 Jahren, seit meine Eltern in die Schweiz kamen, ist ihr Plan aufgegangen, und sie geniessen nun die Zeit wohlverdient als Rentnerpaar. Der eine Bruder hat das Familienrestaurant übernommen, der andere arbeitet als Data Scientist bei einer Schweizer Grossbank. Ich bin in der Lichtbranche im eigenen Betrieb tätig, den ich mit meinem besten Freund vor über zwölf Jahren gegründet habe. Meine berufl iche Situation als Mitinhaber des Unternehmens gibt mir die genügende Flexibilität, im Milizsystem verschiedene Ämter wahrzunehmen. Einerseits machen mir die unterschiedlichen Funktionen Spass, andererseits ist es meine Art, Danke zu sagen. Ein aufrichtiges Dankeschön an die Schweiz dafür, dass sie damals meine Familie in der Not aufgenommen hat, eine Dankesbekundung für die Asylgewährung von rund 8000 Indochina-Flüchtlingen während 1978 bis 1982, die sonst in diesen kommunistischen Ländern wahrscheinlich umgekommen wären.

Rückbesinnung auf humanitäre Tradition
Die humanitäre Hilfe hat in der Schweiz eine lange Geschichte. Diese Tradition muss unbedingt fortgeführt werden, dafür stehe ich ein. Am 30. September 2024 habe ich gemeinsam mit Linda Camenisch (Zürcher FDP-Kantonsrätin) eine parlamentarische Initiative zum Asylthema eingereicht. Diese Initiative schlägt eine kantonale Gesetzesanpassung vor, welche verlangt, dass in Zukunft nicht nur die Gemeinden, sondern auch der Kanton Zürich bei ausserordentlich hohen Flüchtlingsströmen in die Schweiz für die Unterbringung, die Betreuung und die Integration von Asylsuchenden sorgen soll. Nur gemeinsam können wir die diffi zilen Herausforderungen im Asylwesen meistern.

Die Schweiz muss sich zurückbesinnen und sich wieder auf die humanitäre Hilfe konzentrieren. Wir brauchen eine Asylpolitik, die den echten Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten hilft. Indem man die illegale Migration stoppt und diese rückgängig macht, schaff t man Plätze für die Schutzbedürftigen. Aus Erfahrung und eigener Geschichte stelle ich fest, dass insbesondere die echten Flüchtlinge äusserst bereit sind, ihren Beitrag an die Gesellschaft zu leisten. Zudem setzen sie alles daran, um keine Belastung für das Gastland Schweiz zu werden. Sie integrieren sich.

Beispiele gelungener Flüchtlingsintegration
Die Schweiz kann auf zahlreiche Beispiele erfolgreicher Integration von Flüchtlingsgruppen zurückblicken. Ehemalige Flüchtlinge aus Ländern wie Kambodscha, Tibet, Vietnam, Kroatien oder dem Kosovo (um nur einige zu nennen) haben sich hier berufl ich etabliert, sind erfolgreich und geniessen heute breite Anerkennung in der Gesellschaft. Diese Erfolgsgeschichten belegen, dass mit der richtigen Unterstützung und dem Willen zur Integration diesen Menschen ermöglicht wird, einen wertvollen Beitrag zur Wirtschaft und zur Stabilität der Schweiz zu leisten. Sie sind ein Beweis dafür, dass Einsatz und Anpassungsbereitschaft langfristig zu Anerkennung und Erfolg führen können.

Zum Schluss noch eine Anekdote: Ich wollte sichergehen, dass meine Eltern einverstanden sind, dass ich unsere Familiengeschichte hier erzähle, und bat sie um Erlaubnis. Im Gespräch sagte mein Vater mit Stolz, dass er damals sogar den Flug aus dem Flüchtlingslager in Thailand in die Schweiz zurückbezahlt habe und für den Unterhalt der ganzen Familie immer selbst aufgekommen sei.

Nun liegt es an uns, der FDP, die Asylpolitik in die richtigen Bahnen zu lenken, damit auch zukünftige Generationen auf ähnliche Erfolgsgeschichten zurückblicken können.

ywt, Unterengstringen, 08. Oktober 2024


Y. W. Tes Eltern lernten sich in der Schweiz kennen (Ende 1970er-Jahre). Quelle: Y. W. Te privat


Y. W. Tes Vater im Flüchtlingslager in Thailand (1978). Quelle: Y. W. Te privat


Y. W. Tes Familie. Quelle: Y. W. Te privat


Alle drei Brüder Te (2020). Quelle: Y. W. Te privat