Die Zahl der Staatsangestellten wächst stetig, und die Grenzen zwischen staatlichen und privaten Aufgaben verschwimmen immer mehr. Marco Portmann, Wirtschaftswissenschafter und Bereichsleiter Institutionen am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP), warnt vor den Folgen dieser Entwicklung. Auch im Kanton Zürich besteht für ihn Handlungsbedarf.
Herr Portmann, wenn Sie von einer «Aufblähung des Staates» sprechen, welche Entwicklungen in der Schweiz belegen diesen Trend?
Wir geben heute pro Kopf 30 000 Franken für den Staat aus. Das ist inflationsbereinigt ein Viertel mehr als Mitte der 1990er-Jahre. Im Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern ist der Anteil des Staates und staatsnaher Branchen an der Beschäftigung und der Wirtschaftsleistung seit dem Jahr 2000 stark gestiegen. Mit 28,5 Prozent staatlich gelenkter Preise führt die Schweiz die europäische Rangliste an. In den letzten 50 Jahren ist die Regulierungsaktivität förmlich explodiert, gemessen an den Erlassen von Bund und Kantonen. Dies zeigt: Der staatliche Fussabdruck wird grösser.
Worauf führen Sie das starke Staatswachstum zurück?
Ein Naturgesetz ist es nicht. Es ist kein Naturgesetz, aber wir haben uns von einem schlechten Autopiloten durch 20 Jahre mit Wirtschaftswachstum leiten lassen: der Staatsquote, dem Verhältnis der Staatsausgaben zur Wirtschaftsleistung. Die Quote blieb konstant. Nur misst sie erstens nicht den ganzen staatlichen Fussabdruck. Zweitens steigen mit der Wirtschaftsleistung die Staatseinnahmen. Das heisst aber nicht, dass der staatliche Handlungsbedarf aus ordnungspolitischer Sicht im Gleichschritt wächst. Ist Geld vorhanden, sind die Stimmen der Partikularinteressenten, ausgabenfreudigen Politiker und Anhänger des Nanny-Staates aber meist lauter als jene der Sparer.
Die Welt wird komplexer. Ist es da nicht logisch, dass auch der Staat «aufrüsten» muss?
Das stimmt teilweise. Ehrlicherweise wuchsen die Staatsaufgaben auch, weil wir sie uns leisten konnten. Das Problem an der komplexer werdenden Welt ist für den Staat, dass gerne neuer Regulierungsbedarf gefunden wird, für den Abbau des regulatorischen Altbestands setzt sich hingegen niemand ein. Wie zeigt sich die Situation im Kanton Zürich? Ist Zürich Musterschüler oder Sorgenkind? Hinsichtlich der Regulierungsaktivität hat sich der Kanton Zürich in den letzten 20 Jahren vom Mittelfeld auf den vierten Platz vorgearbeitet. Die Verwaltungsausgaben des Kantons und der Gemeinden sind stark gewachsen; pro Kopf geben heute nur Basel-Stadt und Genf mehr für das Verwaltungspersonal aus als Zürich.
Der Staat wächst – und schnappt sich begehrte Fachkräfte. Der Staat tritt aber auch qualitativ mit hohen Löhnen als Konkurrenz zur Privatwirtschaft auf. Wie problematisch ist dies aus Ihrer Sicht für den Arbeitsmarkt?
Die staatlichen Löhne schaffen erstens Druck auf die Löhne in der Privatwirtschaft – dabei gilt die Schweiz sowieso schon als teurer Produktionsstandort. Zweitens dürften die hohen Löhne und das grosse staatliche Stellenangebot bereits die Berufswahl der Jungen prägen. Drittens führt eine grosse Zahl von Angestellten beim Staat und bei staatsnahen Institutionen zu einer Verschiebung der politischen Präferenzen zu mehr Staatsfreundlichkeit und Marktskepsis. Viertens weicht die Privatwirtschaft wegen der staatlichen Konkurrenz auf Fachkräfte aus dem Ausland aus. Angesichts des steigenden Drucks auf das Wohnungsangebot und die öffentliche Infrastruktur ist das problematisch.
Der Staat übernimmt zunehmend Aufgaben von der Privatwirtschaft. Welche Konsequenzen hat diese Verschiebung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft?
Es gibt sogenannte öffentliche Leistungen, die der Markt nicht erbringen kann. Die innere und die äussere Sicherheit, die Umverteilungsfunktionen und gewisse Infrastrukturprojekte kann nur der Staat bereitstellen.
Bei allen anderen Aufgaben ist der Markt schlicht effizienter: Preissignale zeigen auf, was gefragt und was knapp ist, die Entscheidungswege sind kürzer, die Anreize für Innovationen sind besser. Das sagt nicht nur die Wirtschaftstheorie, das zeigen fast ausnahmslos alle industriepolitischen und planwirtschaftlichen Experimente.
Wie können die Kantone, wie kann Zürich den Trend des Staatswachstums bremsen, ohne wichtige Leistungen für die Bevölkerung zu gefährden?
Aus der vorherigen Antwort folgt, dass auch der heutige Leistungskatalog ohne Tabus diskutiert werden sollte. In vielen Kantonen besteht noch Potenzial zum Ausbau der direktdemokratischen Mittel wie dem Finanzreferendum. In Zürich ist indes eher über eine Regulierungs- oder Personalbremse nachzudenken. Mögliche Einwände lassen sich mit den Erfahrungen zur Schuldenbremse entkräften: So hat die Schuldenbremse in der Schweiz beispielsweise zu keinem Investitionsstau geführt, sondern zu einer besseren Prioritätensetzung.
Marco Portmann leitet den Bereich politische Rahmenbedingungen beim IWP. Aufgewachsen ist er in einem Luzerner Vorort. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg, wo er auch zum Dr. rer. pol. promoviert wurde. Als Oberassistent lehrte er in Freiburg in den Bereichen Aussenwirtschaft, ökonomische und institutionelle Ungleichheit sowie Geschlechterökonomie. Marco Portmann arbeitete bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung, wo er sich mit vielfältigen steuerpolitischen Themen befasste. Am IWP knüpft er an seine umfangreiche Forschungstätigkeit in der politischen Ökonomie an.
In einem neuen Video für Social Media bezeichnet sich das kantonale Steueramt als «Antrieb der Gesellschaft». Die FDP findet das einen Hohn für die Steuerzahler. Deshalb haben wir eine Umfrage für Sie vorbereitet: Wer ist der Antrieb unserer Gesellschaft? Ämter vs. Steuerzahler? Hier geht’s zur Umfrage: www.amtsantrieb-nein.fdp-zh.ch